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"Bei Umweltthemen die soziale Frage nicht vergessen."

Susanne Metz | Im Interview berichtet Susanne Metz, Leiterin der Leipziger Städtischen Bibliotheken, warum Bibliotheken perfekte Orte der Bildung für nachhaltige Entwicklung sind, weshalb ihr das Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt so wichtig ist und was es mit dem Projekt "17 Ziele, 17 Bibliotheken" im Jahr 2023 in Leipzig auf sich hat.

Susanne Metz hält ihre grün bemalte Hand in die Kamera, daneben: "Grundthese war, dass BNE nicht als 'zusätzliches Projekt' neben den anderen Aufgaben verstanden werden darf, sondern in allen Bereichen als Haltung und Anspruch integriert werden sollte."
© berlin-event-foto.de/Peter-Paul Weiler

Frau Metz, Sie arbeiten seit über 20 Jahren in leitenden Positionen in Bibliotheken. Wie entstand diese Leidenschaft?

In meinem Elternhaus gab es nicht viele Bücher. Trotzdem haben mich Bibliotheken schon immer fasziniert – nicht nur wegen der Bücher. Bereits während meines Studiums habe ich mir meinen Lebensunterhalt durch einen Job in einer Spezialbibliothek für chinesische Literatur verdient. Dabei hat mir vor allem der Austausch mit den Menschen, die dort ein- und ausgingen, Spaß gemacht. Das war der eigentliche Grund, weshalb mich die Arbeit in einer Bibliothek gereizt hat: die Menschen.

Non-formales/informelles Lernen

… und dann kam schon bald das Thema Bildung dazu.

Als ich von 1999 an in der Stadtbibliothek Kreuzberg, später Friedrichshain-Kreuzberg, gearbeitet habe, lernte ich das Thema Bildung im Zusammenhang mit Bibliothek noch einmal ganz anders kennen. Das Haus ist direkt am Kottbusser Tor, entsprechend kommen dort Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Hintergründen hin. Im Rahmen einer Teilsanierung haben wir Kärtchen ausgelegt, auf die die Leute schreiben konnten, wie sie sich ihre Bibliothek wünschen oder was ihnen fehlt. Viele haben geschrieben, wie wichtig die Bibliothek für sie ist, was mich glücklich gemacht hat. Später gab es eine Umfrage des Jugendamts zum Lieblingsort am Kotti, auch das wurde die Bibliothek. Das war ein toller Moment. Mir wurde klar, dass man viele Menschen erreichen kann, wenn man Bildung eher niedrigschwellig anbietet, gepaart mit einer ernst gemeinten Willkommenskultur. Was ich dort und später als Leiterin des Amtes für Weiterbildung und Kultur mit angestoßen habe, habe ich damals nicht unter dem Begriff Bildung für nachhaltige Entwicklung gesehen, aber es hatte bereits viele Aspekte davon.

Die Erfahrungen aus Berlin haben mir später sehr geholfen, als ich 2013 bei den Leipziger Städtischen Bibliotheken als Direktorin angefangen habe. Denn Leipzig ist im ostdeutschen Raum eine der buntesten Städte und auch hier ist eines der großen Themen, wie Menschen mit den unterschiedlichsten Bildungs- und sozialen Hintergründen erreicht werden können.

Non-formales und informelles Lernen/Jugend

Susanne Metz schaut mit leicht geneigtem Kopf in die Kamera und hält ihre rechte Hand nachdenklich ans Kinn.

"Um alle mit BNE zu erreichen, müssen wir niedrigschwellige Angebote machen – gepaart mit einer echten Willkommenskultur."

QuelleZitat Susanne Metz © Bild: berlin-event-foto.de/Peter-Paul Weiler

Über Susanne Metz:

Susanne Metz, geboren 1964, leitet seit 2013 die Leipziger Städtischen Bibliotheken. Nach Studium (Sinologie und Geschichte) und Referendariat leitete sie ab 1995 die Zentralbibliothek der Stadtbibliothek Köln. Von 1999 an war sie in Berlin zunächst Amtsleiterin der Stadtbibliothek Kreuzberg, leitete anschließend das Leistungs- und Verantwortungszentrums "Bibliotheken" des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und von 2009 an das Leistungs- und Verantwortungszentrum Weiterbildung und Kultur.

Ein Mensch, der Ihnen beim Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wichtige Impulse gegeben hat, ist Ralf Elsässer vom Büro "Civixx – Werkstatt für Zivilgesellschaft". Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit?

Wenn es in Leipzig um Nachhaltigkeitsthemen geht, fällt früher oder später immer sein Name. 2019 gab er den Anstoß zum Konzept "Integration von BNE in kommunalen Bildungseinrichtungen am Beispiel der Leipziger Städtischen Bibliotheken". Grundthese des Konzeptes war es, dass BNE nicht als "zusätzliches Projekt" neben den anderen Aufgaben verstanden werden darf, sondern in allen Bereichen und allen Aktivitäten als Haltung und Anspruch integriert werden sollte. Wie das am Beispiel der außerschulischen Bildungseinrichtung Bibliothek aussehen kann, wird in dem Konzept vorgestellt. Wir hatten damals schon sehr viele Bildungsangebote – jetzt konnten wir dank Ralf Elsässer diese Aktivitäten klammern und dem Kind einen Namen geben. Er hat aber auch konzeptionell in die Zukunft gedacht: Seitdem setzen wir mehr und mehr Ideen und Anregungen um. Damit hat er uns sehr geholfen und in Leipzig eine Art Vorreiterrolle verschafft, was kommunale Einrichtungen betrifft. Das Schönste ist für mich, welche Begeisterung das Thema BNE im gesamten Kolleginnen- und Kollegenkreis auslöst.

Welche Bedeutung kommt dabei Umwelt- und Klimathemen zu?

Natürlich ist das Thema Klimaschutz in den vergangenen Jahren auch in Bibliotheken immer präsenter und wichtiger geworden. Aber nicht nur aus der Organisation heraus, sondern auch von außen: Die Bürgerinnen und Bürger etwa beschäftigen sich heute viel mehr als früher mit Fragen der Nachhaltigkeit. So werden wir etwa kritisch gefragt, ob die vermeintlich zu helle Beleuchtung in der Bibliothek sein muss, das würde doch Energie verschwenden. Wir können zwar auf die entsprechende DIN-Norm verweisen, die das regelt, aber dennoch ist mir wichtig, dass niemand, der so etwas wissen möchte, abgebügelt wird. Stattdessen sollten wir solche Fragen zum Anlass nehmen, unsere Gewohnheiten im Bibliotheksbetrieb auch mal zu hinterfragen. Leider wird solch kritisches Nachhaken zu häufig als Angriff auf die eigene Arbeit gesehen, statt dies als wertvollen Impuls zu begreifen.

BNE-Methoden-Rucksack "Fledermäuse" – für Kita, Vorschule, Grundschule und Hort

Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom BMBF geförderten Kampagne BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung)?

Eine solche Kampagne kann auf jeden Fall für mehr Sichtbarkeit sorgen. Außerdem sind das Thema und der Begriff "Bildung für nachhaltige Entwicklung" ja recht sperrig. Da kann eine Kampagne mit konkreten Menschen und Projekten zeigen: Das ist etwas, das jede und jeder in seinen Alltag integrieren kann, was uns alle betrifft. Außerdem kann man den Leuten vermitteln, dass es nicht darum geht, alles richtig und perfekt zu machen. Und dass es keine Angelegenheit für Spezialistinnen und Spezialisten ist, sondern im Grunde jede Einrichtung angehen sollte, die nur ansatzweise etwas mit Bildung zu tun hat – und nicht nur diese. Das ist oft noch gar nicht in den Chefetagen angekommen, glaube ich. Viele denken beim Begriff "Bildung" erstmal an Schule und meinen, das habe nichts mit ihnen oder ihrer Institution zu tun. Außerdem wird das Thema auch häufig ausschließlich unter dem Klimaaspekt betrachtet, was viel zu kurz gegriffen ist. Das Thema BNE kann durch eine solche Kampagne klarer und greifbarer werden.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Niemand von uns muss sich mit allen Themen auskennen – deshalb ist Netzwerken so wichtig!"

QuelleZitat Susanne Metz © Bild: BMBF

Die Kampagne stellt den Netzwerk-Gedanken in den Vordergrund: Wie wichtig ist Netzwerken in Ihrer konkreten Arbeit und generell beim Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung?

Extrem wichtig. Meine grundsätzliche Haltung ist: Keine und keiner von uns muss zu allem alles wissen. Nehmen wir die 17 SDG: Da muss niemand Spezialistin oder Spezialist zu allen Themen werden. Es geht darum, dass man sich die Punkte anschaut und fragt: Was interessiert mich? Was betrifft mich? Wo gibt es in meiner Umgebung Partner, mit denen man zu dem einen oder anderen Punkt etwas machen kann? So baut man sich dann ein Netzwerk auf. Auch unser eigenes Netzwerk der Städtischen Bibliotheken sehe ich noch lange nicht als abgeschlossen an. Vor allem aber wollen wir Plattform für andere sein, sich zu vernetzen, schließlich können wir in unserer großen Bibliothek in der Stadtmitte tolle Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. So haben wir im ersten Obergeschoss das LeipzigZimmer eingerichtet: einen Raum für innovative und kreative Angebote. Dort können Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Initiative eigene Formate gestalten, sich ausprobieren, Ideen teilen oder eben auch Partner für eigene Projekte finden. Gerade kriegt dieses LeipzigZimmer Geschwister in den Stadtteilbibliotheken, sodass wir mit dieser Idee auch in die Quartiere gehen – das finde ich großartig.

Wie setzen Sie in Ihrem eigenen Alltag Nachhaltigkeit um?

Engagement für die Umwelt ist nicht neu für mich. Ich gehöre zu der Generation, die in den 80er-Jahren gegen Atomkraftwerke und das Waldsterben demonstriert hat. Auch habe ich mich als junger Mensch bewusst entschieden, keinen Führerschein zu machen, bin schon immer viel Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren. Aber die Aufmerksamkeit für das Thema Nachhaltigkeit ist natürlich, Gott sei Dank, mittlerweile deutlich größer geworden. Und ich hinterfrage mich schon regelmäßig kritisch, ob ich das, was wir in unseren Bildungsangeboten predigen, auch selbst im Privaten beherzige. Diesbezüglich bin ich auch sehr gespannt darauf, wie die Kolleginnen und Kollegen an den einzelnen Standorten auf unser "17 Ziele, 17 Bibliotheken"-Projekt im kommenden Jahr reagieren: Ob sie davon angeregt werden, auch im Privaten mehr über nachhaltigen Konsum nachzudenken – oder ob sie das als übergriffig empfinden, wenn sie Tipps für einen nachhaltigeren Lebenswandel bekommen.

Susanne Metz schaut in die Kamera, ihr rechter Arm und ihre rechte Hand weisen nach links.

"Meine große Hoffnung ist, dass in ein paar Jahren das Thema Nachhaltigkeit bei allen Entscheidungen, die getroffen werden, standardmäßig mitgedacht wird."

QuelleZitat Susanne Metz © Bild: berlin-event-foto.de/Peter-Paul Weiler

Zwei Dinge für die Zukunft

Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Natürlich liegt unser Fokus auf Ziel 4, "hochwertige Bildung" (Anm. d. Red.: 2015 definierten die Vereinten Nationen (UN) 17 globale Nachhaltigkeitsziele in der Agenda 2030). Mir persönlich liegen die sozialen Ziele, also etwa gesellschaftliche Gerechtigkeit und Teilhabe, sehr am Herzen. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir Nachhaltigkeit nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten sehen, sondern uns auch mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt beschäftigen. So verstehe ich auch unsere Aufgabe als Bibliothek: Menschen zusammenzubringen und dazu beizutragen, dass die Gesellschaft nicht auseinanderbricht. Aber natürlich ebenso mitzuhelfen, dass die Erde auch für spätere Generationen noch lebenswert bleibt. Dass hierfür eigentlich alle 17 Ziele gleichermaßen wichtig sind, zeigt unser Vorhaben im Jahr 2023: Unter dem Motto "17 Ziele, 17 Bibliotheken" – wir haben genau 17 Standorte – bekommt jeder unserer Bibliotheksstandorte per Zufallsprinzip eines der SDG zugeordnet. Und mit diesen sollen sie sich die Mitarbeitenden und ihr Publikum dann das ganze Jahr über befassen.

Die Aktion soll dann aber natürlich weit über das Jahr 2023 hinauswirken. Flankiert wird sie mit Fortbildungsveranstaltungen, um die Mitarbeitenden in BNE zu schulen und ihnen ein ganzes Paket an Wissen und Informationen mitzugeben. Außerdem wollen wir alle unsere Einrichtungen hinsichtlich des CO2-Abdrucks überprüfen und schauen, was wir in unseren Arbeitsprozessen verändern können, um klimafreundlicher zu werden. Das sind Querschnittsaufgaben, bei denen jede und jeder in einer Institution eingebunden werden muss, damit es funktioniert.

Meine Vision für 2030 und 2050

Meine große Hoffnung ist, dass schon im Jahr 2030 das Thema Nachhaltigkeit bei allen Entscheidungen, die wir treffen, standardmäßig mitgedacht wird. Ich hoffe, dass wir bis dahin wirklich viele alte Zöpfe abgeschnitten haben. Zwar glaube ich nicht daran, dass bis dahin alle Kultureinrichtungen in Leipzig klimaneutral sind. Aber vielleicht immerhin wesentlich klimafreundlicher. Auf jeden Fall sollten alle das Thema präsent haben und sich ernsthaft damit auseinandersetzen – und aktiv nach konkreten Lösungen suchen. Eine Vision für 2050 zu entwickeln, fällt mir wesentlich schwerer. Das hängt sehr davon ab, welche Fortschritte wir in den kommenden Jahren machen.

Über Susanne Metz