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"Wir alle unterschätzen das Strahlungspotenzial"

Marisa Becker | Im Interview spricht Marisa Becker, Content Creator für nachhaltige Themen, über ihren kürzlich verstorbenen Vater, Peter Becker, der sie als Vorreiter im Thema Nachhaltigkeit immens beeinflusst hat. Mit ihrer Inspirationsgeschichte möchte sie deutlich machen, dass in uns allen "Strahlungspotenzial" liegt. Außerdem spricht sie über ihre Arbeit und die eigene daraus resultierende Vorbildfunktion.

Marisa Becker über ihren Vater Peter: "Ich fand das sehr bezeichnend, dass sich mein Vater gar nicht bewusst war, dass er so ein Vorbild war. Ich glaube, dass wir alle Vorbilder sein können und uns das Strahlungspotenzial nur bewusst machen müssen."
© Joanna Hörig

Frau Becker, vielen Dank, dass Sie trotz Ihrer Trauer um Ihren kürzlich verstorbenen Vater Peter Becker die Inspirationsgeschichte mit uns teilen möchten. Bitte erzählen Sie uns von Ihrer Motivation, gerade jetzt von seiner Vorbildfunktion zu sprechen.

Mein Vater war unglaublich stolz, dass ich ihn als Vorbild in dieser Kampagne benennen wollte. Ihm war gar nicht bewusst, wie sehr er mich inspirierte. Ich glaube, es gibt sehr viele Menschen da draußen, die Vorbild für andere sind, und sich dessen selbst gar nicht bewusst sind. Ich bekomme in Kürze selbst mein zweites Kind und muss mir täglich bewusstwerden, dass ich in einer Vorbildposition agiere. Wir alle können Dinge vorleben, um eine "enkelfähige" Zukunft zu gestalten, in der auch noch zukünftige Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden. Mein Vater war ein Vorreiter, der dies schon vor über zwanzig Jahren so gemacht hat. Damals gab es kaum Bio-Läden und mittlerweile hat sich schon so viel im Thema Nachhaltigkeit verändert. Das alles haben wir Vorbildpersonen zu verdanken, denn diese haben mit ihrem Engagement andere inspiriert, etwas zu verändern. Ich glaube, wir alle unterschätzen das "Strahlungspotenzial", das wir haben. Ich fand das sehr bezeichnend, dass sich mein Vater gar nicht bewusst war, dass er so ein Vorbild war. Ich glaube, dass wir alle Vorbilder sein können und uns das Strahlungspotenzial nur bewusstmachen müssen. Daher ist es mir wichtig, diese Geschichte zu erzählen.

Link zum Podacst "Nachhaltige Jobs" mit Marisa Becker

Bitte erzählen Sie uns, inwiefern Ihr Vater Peter Becker Sie inspirierte.

Mein Papa war ein Mensch, der schon immer sehr eigenwillig war und sehr unkonventionell gedacht hat. Besonders geprägt hat ihn eine Dokumentation, die er als Kind gesehen hatte. Dort ging es um die Hungersnot von Kindern im globalen Süden. Als er als Koch in Amerika gearbeitet hatte, war er entsetzt, wie viele Lebensmittel in der Tonne landen. Da hat er sich vorgenommen, er will das anders machen. Mein Vater stand immer felsenfest zu seinen Überzeugungen – er versuchte seine Vorgesetzen zu sparsamerem Umgang zu motivieren. Klappte dies nicht, kündigte er geradeheraus und versuchte dann eigenständig seinen Beitrag zur Veränderung zu leisten.

Dies tat mein Vater auf zwei Wegen: Er prüfte heimische Kräuter und Neophyten auf ihr Verwertungspotenzial. Vieles nutzen wir bis heute kaum. Und andererseits beschäftigte er sich auch sehr mit Insekten, da gab es schon auch mal eine Heuschreckenfarm bei uns zu Hause. Er entwickelte Rezepte, gab Wildkräuter-Werkstätten in Kitas und Schulen oder machte Workshops für Erwachsene. Mein Vater hat schon immer um die Ecke gedacht und Dinge gemacht, die sonst gerade keiner tat. Das ist etwas, das mich sehr inspiriert.

Publikation: Biologische Vielfalt und Bildung für nachhaltige Entwicklung - Anregungen für die Praxis (PDF, 4MB, Datei ist nicht barrierefrei)

Marisa Becker mit langen, welligen Haaren und schwarzem Rollkragenpullover schaut in die Kamera.

"Mein Vater hat schon immer um die Ecke gedacht. Das ist etwas, das mich sehr inspiriert."

 

QuelleZitat Marisa Becker © Bild: Joanna Hörig

Über Marisa Becker:

Marisa Becker, 26, ist freie Journalistin und Content Creator für Social Media mit Fokus auf Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Verbraucherthemen. Sie ist Mitgründerin des Online-Magazins "EKOLOGISKA MAG", betreibt den Podcast "Fairquatscht" und den Instagram-Kanal "mysustainableme".

 

Zusammen mit Ihrem Vater Peter Becker haben Sie das Buch "111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss" veröffentlicht. Welche Intention steckt hinter der Veröffentlichung dieses Ratgebers?

In diesem Buch stellen wir einerseits heimische Nutzpflanzen vor, die man ohne lange, klimaschädliche Transportwege quasi vor der eigenen Tür sammeln kann. Wir klären aber auch darüber auf, dass bestimmte Pflanzen aufgrund des Klimawandels zukünftig nicht mehr in unserer Region gedeihen könnten. Daher stellen wir in diesem Buch zukunftsfähige Nutzpflanzen vor, die mit Klimaveränderungen eher zurechtkommen könnten. Ein dritter Schwerpunkt liegt auf Pflanzen, die ein großes Potenzial für fairen Handel bieten.

gARTENreich - mehr Vielfalt in Gärten

Ökologische und soziale Herausforderungen unserer Zeit sind ein zentraler Fokus Ihrer Arbeit. Sie widmen sich diesen Themen auf mehreren sozialen Kanälen (Online-Magazin "EKOLOGISKA MAG", Podcast "Fairquatscht", Instagram-Kanal "mysustainableme"). Welchen Mehrwert wünschen Sie sich für Leserinnen und Leser bzw. Hörerinnen und Hörer?

Jeder Kanal hat bei mir seinen eigenen Schwerpunkt: Bei "Fairquatscht"  breche ich komplexe Themen der Klimakrise auf, indem ich mit meinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern zum Beispiel konkrete Schlagwörter bespreche. Ich hoffe damit, den Menschen einerseits Wissen niedrigschwellig zu vermitteln und sie andererseits weitergehend zum Nachdenken und nachfolgendem Informieren anzuregen. Also "Fairquatscht" eignet sich auch für Menschen ohne Vorwissen, bei "EKOLOGISKA MAG" ist das etwas anders. Dort konzentrieren wir uns auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit mit vermehrtem Nischenwissen – das heißt etwas mehr an Menschen gerichtet, die sich zuvor schon mit Nachhaltigkeit beschäftigt haben. Der besondere Fokus liegt hier auf sozialen Themen, zum Beispiel inwiefern man "Gleichberechtigung der Frauen" fördert, indem man Fair Fashion anstatt Fast Fashion kauft. Auf meinem Instagram-Kanal "mysustainableme" widme ich mich vor allem knappen Fakten zu Verbraucherschutzthemen. Auf jedem Kanal richte ich mich an das Bedürfnis der Zielgruppe. Bei Social Media sind lange Artikel weniger gut aufgehoben, die kommen dann in unser Online-Magazin EKOLOGISKA, für das neben mir vier weitere Frauen schreiben.

Nachhaltig genießen - Rezeptbuch für unsere Zukunft

Kritisches Hinterfragen ist ein zentraler Punkt Ihrer sozialen Kanäle. Haben Sie einen Tipp für Konsumentinnen und Konsumenten, die nicht auf Greenwashing hereinfallen wollen?

Zuerst ist es wichtig, keine Angst davor zu haben, etwas falsch zu machen. Denn bereits der Wille, sich nachhaltigere Alternativen zu suchen, ist ein wichtiger Schritt. Immerhin teilt man mit seiner Kaufentscheidung mit, dass man sich ökologischere Alternativen wünscht. Um nicht auf Greenwashing hereinzufallen, kann man sich natürlich an bestimmten Siegeln orientieren. Da es so viele unterschiedliche Siegel gibt, hilft es, sich in Siegel-Guides hineinzulesen. Manche Siegel sind vertrauenswürdiger als andere. Hier kann man sich zum Beispiel auf der Website "Siegelklarheit.de" orientieren, das ist eine Initiative der Bundesregierung. Des Weiteren empfehle ich immer gerne auf die "Pioniere" zu schauen, zu prüfen, welche Unternehmen oder Start-ups Vorreiter in Thema Nachhaltigkeit waren. Bei jenen gerät man weniger in Gefahr, dass es nur eine Marketingstrategie ist.

Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?

Ja, Austausch mit vielen Menschen ist wichtig. Beim Thema Nachhaltigkeit und Soziales ist es von Bedeutung, sich unterschiedliche Perspektiven anzuhören. Auch das Aufdecken von Greenwashing erfordert Teamwork. Für mich als Selbständige gehört Netzwerken sowieso dazu, denn sonst wäre es eine sehr einsame Tätigkeit.

Marisa Becker im schwarzen Rollkragenpullover und langen, welligen Haaren steht mit dem Oberkörper quer zur Kamera und lächelt.

"Jede Sparte braucht Vordenkerinnen und Vordenker, die Nachhaltigkeit anstoßen."

 

QuelleZitat Marisa Becker © Bild: Joanna Hörig

Gibt es spezielle neue soziale oder nachhaltige Projekte oder Vorhaben, die Sie in Planung haben?

Aktuell hoffe ich ein Buchprojekt umsetzen zu können, das sich Nachhaltigkeitsthemen für Kinder und Jugendliche widmet. Daraus sollen auch Unterrichtsmaterialen für die Schule entstehen. Es würde mich sehr freuen, wenn ich durch diesen Einsatz noch mehr Samen für die Klimabewegung sähen kann. Natürlich möchte ich auch unser Online-Magazin "EKOLOGISKA MAG" weiter ausbauen und noch diverser gestalten. Und dann steht auch die Geburt meines zweiten Kindes an.

Wie ist es für Sie, heute nicht nur ein Vorbild für Ihre Kinder zu sein, sondern auch für Ihre Leserinnen und Leser?

Das ist ein beeindruckendes Gefühl. Am Anfang ist man sich dessen nicht so bewusst, dass man Einfluss auf andere hat. Aber wenn man dann Nachrichten bekommt und merkt, dass Menschen sich an einem orientieren, fühlt sich das sehr schön an – ist aber natürlich auch mit Verantwortung und einem gewissem Druck verbunden. Aber das ist es schlussendlich, was meiner Arbeit Sinn verleiht – wenn ich merke, ich konnte Menschen weiterhelfen, oder wenn ich einen „nachhaltigen“ Samen in die Welt hinausgetragen habe, der bei dem einen oder der anderen aufgegangen ist.

Marisa Becker mit langen, welligen Haaren im schwarzen Rollkragenpullover lächelt in die Kamera.

"Bildung bietet eine gute Grundlage, um soziale und ökologische Ziele zu erreichen."

 

QuelleZitat Marisa Becker © Bild: Joanna Hörig

Vier Dinge für die Zukunft

Mein Tipp für Nachhaltigkeit im Alltag

 Da es oft etwas aufwendiger ist, gewohnte Routinen zu verändern, kann ich ein paar Basics empfehlen, die jede und jeder ohne viel Aufwand ändern kann. Zum Beispiel kann man das Konto zu einer nachhaltigen Bank wechseln, da arbeitet das Geld schon mal im Hintergrund auf eine positivere Weise. Dieser Schritt ist sehr leichtgetan. Des Weiteren kann man zu einem Ökostromanbieter wechseln – hier aber prüfen, ob der Anbieter tatsächlich etwas zur Energiewende beiträgt und nicht nur einen Öko-Marketing-Tarifnamen vermarktet. Dasselbe gilt für Energieanbieter und sämtliche Versicherungen. Bei all diesen Veränderungen kann man schon mal eine längerfristige Wirkung erzielen, ohne seinen "inneren Schweinehund" überwinden zu müssen. Das sind meine Anfängertipps, um einen ersten Schritt zu mehr Nachhaltigkeit zu gehen. Welche Dinge man dann im Alltag ändern will und kann, muss man dann persönlich für sich entscheiden.

Mein Tipp für Nachhaltigkeit im Beruf

Ich denke, dass es drei unterschiedliche Wege gibt, die man da beruflich einschlagen kann.

Weg 1: Man wählt einen Arbeitgeber, dessen Unternehmensziele dezidiert nachhaltig sind. Die Jobplattform "Goodjobs.eu" hat sich zum Beispiel auf soziale und nachhaltige Arbeitsangebote spezialisiert.

Weg 2: Man sieht sich in seiner Berufssparte, seinem Unternehmen um und prüft, was man hier nachhaltiger machen könnte. Es braucht schließlich einen Wandel in der Gesamtgesellschaft und jede Sparte braucht Vordenkerinnen und Vordenker, die etwas in Richtung Nachhaltigkeit anstoßen.

Weg 3: Man macht sich mit einer konkreten Nachhaltigkeitsidee selbstständig.

Meine Vision für 2030 und 2050

Ich hoffe, dass wir bis 2030 einen Plan haben, wie wir unsere zahlreichen Probleme lösen können. Es ist notwendig, dass bis dahin ein Klimaschutzplan steht und sich alle Länder bei den Klimakonferenzen einigen. Ich zweifle bereits am Einhalten der 1,5-Grad-Marke – aber dann sollten wir immerhin die 2-Grad-Marke keinesfalls überschreiten. Ich möchte, dass bis 2030 Gesetze verabschiedet werden, die mit diesen Zielen vereinbar sind. Denn es braucht vor allem konkrete Handlungen.

Für 2050 hoffe ich, dass wir erste Strategien implementiert haben, um unseren Planeten als schönen und lebbaren Ort zu erhalten. Wir werden lernen müssen, uns anzupassen und gerade auch für die Menschen im globalen Süden gilt es, gute Lösungen zu finden. Damit diese Menschen, die überhaupt nichts für den Klimawandel können, nicht in drastischen Umständen leben müssen. 

Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Ich glaube, dass Zusammenspiel der 17 Sustainable Development Goals (Anm. d. Red.: 17 globale Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN)) ist von Bedeutung, um eine entscheidende Veränderung zu bewirken. Herauspieken würde ich dennoch Ziel 4 "Hochwertige Bildung", denn Bildung ist enorm wichtig, um kluge Entscheidungen treffen zu können. Das heißt, Bildung ist eine gute Basis, um auch die anderen Ziele zu erreichen. Dringlich ist aber natürlich das Erreichen aller globalen Nachhaltigkeitsziele; soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele sind meines Erachtens sowieso stark miteinander verknüpft. Ich glaube eben, Bildung kann eine gute Grundlage sowohl für soziale wie auch ökologische Ziele bieten.