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"Es ist wichtig, eine Kultur der Nachhaltigkeit zu schaffen"

Prof. Dr. Dorit Schumann | Die Präsidentin der Hochschule Trier und Vizepräsidentin für Transfer, Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Prof. Dr. Dorit Schumann erläutert im Interview, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) der Treiber zur Verwirklichung aller Nachhaltigkeitsziele sei – und erzählt, wie sie sich für eine Kultur der Nachhaltigkeit einsetzt. Außerdem spricht sie darüber, wie ihre Schul- und Studienzeit sie nachhaltig geprägt und welche Menschen sie inspiriert haben.

Prof. Dr. Dorit Schumann steht vor einem Fenster, daneben ein Zitat von ihr: "Bildung für nachhaltige Entwicklung ist der zentrale Treiber, der die Verwirklichung der übrigen Nachhaltigkeitsziele erst ermöglicht."
© HochschuleTrier- Tobias Serf

Was bedeutet Bildung für nachhaltige Entwicklung für Sie?

Ich orientiere mich am Unterziel 4.7 des Nachhaltigkeitszieles Nummer 4 "hochwertige Bildung" (Anm. d. Red.: 17 globale Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 definiert). Dieses sieht vor: "Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung".

Damit wird unterstrichen, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung der zentrale Treiber ist, der die Verwirklichung der übrigen Nachhaltigkeitsziele erst ermöglicht.

Für die Hochschulen hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in ihrer Empfehlung "Für eine Kultur der Nachhaltigkeit" den Anspruch formuliert, Zukunftswerkstätten der Gesellschaft zu sein. Damit ist nicht nur der Anspruch verbunden, die mit dem Unterziel 4.7 verbundenen Kompetenzen, Kenntnisse und Wissensbestände zu vermitteln, sondern auch diese gerade in den Hochschulen im steten Zyklus von Anwendung und kritischer Reflexion fortzuentwickeln.

Whole Institution Approach – der ganzheitliche BNE-Ansatz

Gibt es jemanden, der Sie zu Ihrem Engagement für Bildung für nachhaltige Entwicklung inspiriert hat?

Die Grundlage wurde bereits in meiner Schulzeit in einem Religions- und Ethikkurs vor mehr als 30 Jahren durch den damaligen Lehrer gelegt. Wir befassten uns dort längere Zeit mit der Wasserknappheit in Ländern Afrikas und wie dies die dortige Stabilität verändert und auch die bei uns in Europa in der Zukunft verändern wird. Gefestigt wurde dieses Interesse während meines Studiums durch Wahlfächer zur Nachhaltigkeit in den Wirtschaftswissenschaften. Während meiner Forschung zur humanitären Logistik war es die Trägerin des Friedensnobelpreises, Wissenschaftlerin und Politikerin Wangari Maathai aus Kenia, die mich mit ihren Büchern und ihrer Gründung von "Green Belt Movement" (Anm. d. Red.: internationale Nichtregierungsorganisation, die sich vor allem auf Umweltschutz und die Entwicklung von sozialen Gemeinschaften konzentriert) aufs Neue inspiriert hat.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Bildung für nachhaltige Entwicklung ist der zentrale Treiber, der die Verwirklichung der übrigen Nachhaltigkeitsziele erst ermöglicht."

QuelleZitat Prof. Dr. Dorit Schumann © Bild: BMBF

Über Prof. Dr. Dorit Schumann:

Prof. Dr. Dorit Schumann ist Präsidentin der Hochschule Trier und Vizepräsidentin für Transfer, Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Sie hat sich als Wirtschaftswissenschaftlerin in Forschung und Lehre dem Thema der humanitären Logistik gewidmet. Im In- und Ausland hat sie zu Logistik und Supply Chain Management gelehrt sowie geforscht und sich über das Schwerpunktthema humanitäre Logistik intensiv mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (UN) befasst. Ihre Forschungsprojekte setzte sie sowohl in einem Arbeitskreis zur humanitären Logistik in Deutschland als auch in Subsahara-Afrika und in Jordanien um. In Jordanien war sie drei Jahre lang Professorin für Logistik und Vizepräsidentin für Internationales an der Deutsch-Jordanischen Universität in einem der wasserärmsten Länder der Erde. Davor war sie Professorin und Vizepräsidentin für Forschung an der Hochschule Fulda. Studiert und promoviert hat sie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Heute sind Sie selbst durch Ihr Engagement eine Vorbildfigur. Wie fühlt sich das an?

Als Teil des Wissenschaftssystems, aber auch und gerade als Bürgerinnen und Bürger sind wir vielleicht nicht immer Vorbilder, aber eben doch Akteurinnen und Akteure, die diese große Transformation als Entscheiderinnen und Entscheider moderieren und selbst im Kleinen, in alltäglichen Routinen, vollziehen. Die Spannungen, Widersprüche, Ungleichzeitigkeiten, aber auch die guten Erfahrungen, die wir manchmal dadurch machen, dass eine Veränderung plötzlich gelingt, wollen wir in unsere Organisationen tragen und dort sichtbar machen und sich entfalten lassen. Es ist eine wunderbare Konstellation, dies im generationenübergreifenden Diskurs offen, neugierig und statusunabhängig tun zu dürfen.

Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?

Selbstverständlich sind Netzwerke wichtig, in denen ich sowohl für meine Hochschule Trier mit dem deutschlandweit grünstem Campus – dem Umwelt-Campus Birkenfeld – als auch für die Hochschulrektorenkonferenz aktiv bin. Hochschul-, landes- und bundesweit sowie international brauchen wir Netzwerke, um die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit an Hochschulen noch weiter zu stärken, voneinander zu lernen und gemeinsam Projekte umzusetzen. Die Vernetzung gelingt derzeit recht gut, aber es müssen auch die Umsetzungen zur Nachhaltigkeit folgen und hier braucht es noch mehr Dynamik aus der Vernetzung heraus. An dieser Stelle spreche ich auch erforderliche Mittel aus Bund und Land für Themen rund um Bildung für nachhaltige Entwicklung bis hin zu baulichen Aktivitäten und Mobilität an. Wenn an dieser Stelle die Mittel fehlen, dann bleiben Ideen der nachhaltigen Entwicklung in der Vernetzung stecken und kommen nicht zur Umsetzung.

Aktionsgruppenprogramm – Förderung kleiner Projekte der entwicklungspolitischen Informations- und Bildungsarbeit Engagement Global

Prof. Dr. Dorit Schumann steht in schwarzem Blazer und weißer Bluse vor einem Fenster.

"Wir möchten den Umwelt-Campus Birkenfeld weiterhin als den grünsten Campus in Deutschland etablieren und Vorreiterin beim Thema Nachhaltigkeit sein."

QuelleZitat Prof. Dr. Dorit Schumann © Bild: HochschuleTrier- Tobias Serf

Was sind Ihre nächsten Projekte – oder worauf legen Sie in nächster Zeit Ihren Fokus?

Als Vizepräsidentin der HRK wird es darum gehen, die Inhalte der HRK-Empfehlung "Für eine Kultur der Nachhaltigkeit" umzusetzen und die dort angelegten Handlungsfelder in weiteren Empfehlungen in den Gremien der HRK und statusgruppenübergreifend im Hochschulsystem insgesamt zu vertiefen. Derzeit stehen eine Reihe an Workshops sowie ein Projekt im Mittelpunkt der Aktivitäten.

Die HRK hat gerade im Jahr 2022 eine Reihe von nachhaltigkeitsorientierten Workshops gestartet, die digital und in Einzelfällen auch in Präsenz veranstaltet werden. Die ersten Workshops zur Bildung für nachhaltige Entwicklung richteten sich auf die Themen "BNE in und neben Curricula" sowie "BNE in Kleinen Fächern". Die Workshops finden im Jahr 2023 eine Fortsetzung mit den Themen "Lehr- und Lernformate in der BNE" sowie "Interdisziplinarität und Internationalität in der BNE". In Planung befindet sich zudem eine Veranstaltung zu "BNE und Cultural Heritage". Die Workshops in Präsenzformaten werden durch das BMBF kofinanziert.

Als Projekt der HRK mit Nachhaltigkeitsbezug startete Ende des Jahres 2022 das Projekt traNHSform, das durch das BMBF als umfassende Begleitmaßnahme für das Förderprogramm Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen im Rahmen der BMBF-Initiative Nachhaltigkeit in der Wissenschaft bis zum Jahr 2026 gefördert wird. Im Rahmen des Förderprogramms Transformationspfade werden insgesamt zehn Verbünde von Hochschulen durch das BMBF dabei unterstützt, je eigene Transformationspfade zu nachhaltigen Hochschulen zu entwickeln, voranzutreiben und kritisch zu reflektieren. Die Projekte beziehen sich im Sinne des Whole-Institution-Approach (Anm. d. Red.: ganzheitlicher BNE-Ansatz) auf das gesamte Spektrum der hochschulischen Leistungsprozesse in Studium und Lehre, Forschung, Transfer, Betrieb, Infrastrukturen und Governance. Die HRK wird als Leiterin eines Konsortiums mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen (DG HochN) und dem Institut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe die Hochschulverbünde in den nächsten Jahren auf ihren jeweiligen Pfaden vernetzen und begleiten. Transformationserfahrungen sollen so eine Hebelwirkung in der Breite des deutschen Hochschulsystems entfalten, sodass Nachhaltigkeit und Klimaschutz strukturell in alle Leistungsbereiche der Hochschulen integriert werden können.

An meiner eigenen Hochschule Trier werden wir Nachhaltigkeit als eines von drei Profilthemen strategisch weiter in allen Leistungsbereichen der Hochschule etablieren. Dazu wurde jüngst ein hochschulübergreifender Nachhaltigkeitsrat etabliert, in dem alle Fachbereiche, Green Offices, alle Gruppen und das Präsidium vertreten sind. Projekte rund um das Lernen und Lehren, Forschung und Transfer werden dort ebenso thematisiert wie Mobilität und Infrastrukturthemen. Wir möchten den Umwelt-Campus Birkenfeld weiterhin als den grünsten Campus in Deutschland etablieren und Vorreiterin beim Thema Nachhaltigkeit sein.

UNESCO-Monitoring zu SDG 4.7: Neuer Bericht

Wie setzen Sie in Ihrem Alltag Nachhaltigkeit um?

Als drei ausgewählte Beispiele will ich benennen:
1. energieeffizientes Wohnen,
2. vegetarisches und wenn möglich regionales Essen,
3. im Umkreis von 1000 km keine Flüge und vorrangig Reisen mit dem Zug.

Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten BNE-Kampagne?

Die Kampagne bringt meine Erwartungshaltung durch den Claim hervorragend zum Ausdruck: "Lernen. Handeln. Gemeinsam Zukunft gestalten."

Meine Hoffnung ist, dass der Schwerpunkt der Wirkung auf dem Handeln liegen wird und dass die Kampagne langfristig Wirkung entfalten wird. Die klima- und nachhaltigkeitsorientierten Themen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung können über die Kampagne und alle beteiligten Akteurinnen und Akteure in die Breite getragen werden.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Meine Hoffnung ist, dass der Schwerpunkt der Kampagnenwirkung auf dem Handeln liegen wird."

QuelleZitat Prof. Dr. Dorit Schumann © Bild: BMBF

Drei Dinge für die Zukunft:

Mein Tipp für andere

Eine Kultur der Nachhaltigkeit leben und vorleben, ein gutes Beispiel für andere privat und beruflich sein.

Meine Vision

Bildung für nachhaltige Entwicklung und Nachhaltigkeit sind an Hochschulen umgesetzt bis hin zu Gebäuden und Campusgestaltung.

Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Nummer 4 "hochwertige Bildung", denn dies ist der Schlüssel zur Umsetzung aller 17 SDGs (Anm. d. Red.: Sustainable Development Goals; auf Deutsch: 17 globale Nachhaltigkeitsziele).