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"Wir haben eine internationale Verantwortung"

Claudia Brück | Die geschäftsführende Vorständin bei Fairtrade Deutschland für den Bereich Kommunikation und Politik spricht darüber, warum wir unser Verhalten immer in der globalen Perspektive betrachten sollten, weshalb es so wichtig ist, Umwelt- und Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden – und was sie von ihrem ehemaligen Deutschlehrer fürs Leben gelernt hat.

Claudia Brück hält ihre grün bemalte linke Hand in die Kamera, daneben steht: "Gerd Tesch hat Bildung viel breiter gemacht als einfach nur Texte zu lesen und darüber zu diskutieren. Das hat mir eine völlig neue Welt eröffnet."
© BMBF/berlin-event-foto.de/Jürgen Schulzki

Frau Brück, Sie nennen Ihren ehemaligen Lehrer, Gerd Tesch, als einen Menschen, der Sie sehr geprägt hat – inwiefern?

Ich fand es unglaublich inspirierend, wie er seinen Deutsch-Leistungskurs in der Oberstufe gestaltet hat. Bei ihm haben wir Zeitung gelesen, Theater gespielt oder sind zusammen ins Kino gegangen. Er hat Bildung viel breiter gemacht als einfach nur Texte zu lesen und darüber zu diskutieren. Das hat mir eine völlig neue Welt eröffnet. Er hat uns auch gerne mal provoziert und kam mit einer BILD-Zeitung in den Unterricht. Bei ihm habe ich gelernt, zu diskutieren, zu argumentieren, aber auch anderen zuzuhören und mich mit ihrer Meinung auseinanderzusetzen. Das fand ich sehr motivierend. Es war dieser Kurs, der mich drei Jahre durch die Oberstufe getragen hat.

Haben Sie dabei auch über Nachhaltigkeit gesprochen?

Nein, das nicht. Nachhaltigkeit war damals – meine Schulzeit endete 1988 – noch kein großes Thema. Ich komme allerdings vom Land, aus einem 400-Seelen-Dorf, in dem meine Familie Teil einer Waldgenossenschaft ist. Wir hatten auch Landwirtschaft, weshalb für mich als Kind ein bewusster Umgang mit Ressourcen ganz selbstverständlich war. Für uns war es normal, Lebensmittel wertzuschätzen und nichts wegzuwerfen, keine unnötigen Anschaffungen zu machen. Das hat meine Kindheit und Jugend sehr geprägt. Was das betrifft, könnte ich im Grunde jede unserer damaligen Nachbarinnen als Vorbild für nachhaltiges Handeln nennen.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Das Prinzip von Fairtrade hat per se etwas mit Netzwerken zu tun – Allianzen zu schmieden und Menschen zusammenzubringen."

 

QuelleZitat Claudia Brück © Bild: BMBF

Über Claudia Brück:

Claudia Brück studierte Regionalwissenschaften für Lateinamerika und Germanistik. Seit 23 Jahren ist sie bei Fairtrade Deutschland in unterschiedlichen Positionen tätig. Der gemeinnützige Verein unterstützt benachteiligte Produzentenfamilien in Afrika, Asien und Lateinamerika über den fairen Handel dabei, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen selbstbestimmt zu verbessern. Das Fairtrade-Siegel steht für fair gehandelte Produkte. Seit sieben Jahren ist Claudia Brück bei Fairtrade Deutschland als geschäftsführende Vorständin für den Bereich Kommunikation und Politik zuständig.

 

Seit 23 Jahren arbeiten Sie bei Fairtrade Deutschland. Was hat sie 1999 dorthin geführt?

Ich komme aus einem christlichen Haushalt, was ebenfalls ein sehr wichtiger Einfluss für mich war. Meine Mutter hat im Weltladen gearbeitet. Schon als Teenagerin habe ich nach dem Gottesdienst fair gehandelten Kaffee im Gemeindesaal verkauft und in der Schule einen fairen Kaffee-Ausschank im Pausenraum organisiert. Während meines Studiums zur Regionalwissenschaftlerin für Lateinamerika, hatte ich ein DAAD-Stipendium in Argentinien und konnte insgesamt zwei Jahre in Lateinamerika verbringen Dabei habe ich – neben Argentinien – auch Chile, Uruguay, Bolivien und Peru bereist. Schon damals habe ich journalistisch gearbeitet, um mein Studium zu finanzieren. Nach Beendigung des Studiums habe ich 1999 eine kleine Anzeige entdeckt, dass Fairtrade – damals noch TransFair – eine Praktikantin im Pressebereich sucht. Da kamen für mich meine journalistischen und entwicklungspolitischen Interessen perfekt zusammen. Nach drei Monaten Praktikum habe ich gefragt: „So, und was wollt ihr jetzt mit mir?“ Eine Stunde später lag ein unbefristeter Arbeitsvertrag auf meinem Schreibtisch. Und dann bin ich geblieben.

Armut und Hunger beenden

Was sind die größten Herausforderungen Ihrer Arbeit? Was die wichtigsten Ziele?

Wir sind ein wirtschaftspolitisch agierender Verein. Als solcher ist unser Hauptanliegen: Wie können wir die Rahmenbedingungen für unsere Partnerinnen und Partner im globalen Süden zum Besseren hin verändern? Wie können wir sie bestmöglich unterstützen? Diese Frage hat im Laufe der vergangenen 20 Jahre immer wieder neue Facetten bekommen, was die Arbeit sehr spannend macht. Nehmen wir das Thema Nachhaltigkeit: Als ich 1999 bei Fairtrade anfing, habe ich ein Papier über Nachhaltigkeit geschrieben, das damals nur Expertinnen und Experten ein Begriff war. Mittlerweile ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die Definitionen sind allerdings unterschiedlich. Wie viele andere fragen also auch wir bei Fairtrade uns: An welchen Stellschrauben müssen wir drehen? Welche staatliche Regulierung braucht es? Aktuell treibt uns die Sorge um, dass gerade die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, aufgrund der ungünstigen politischen Rahmenbedingungen aus den Märkten gekickt werden. Das Sorgfaltspflichtengesetz sollte ja die Menschen in der Lieferkette vor Menschenrechtsverletzungen schützen, jetzt scheinen die Kriterien und Prozesse zur Implementierung so aufwändig und kostspielig, dass am Ende nur die großen Player übrigbleiben. Hier suchen wir nach guten Lösungen – gemeinsam mit der Politik, der Wirtschaft sowie unseren Partnerinnen und Partnern im globalen Süden.

Change the Future Tool

Claudia Brück in schwarz-rotem Oberteil hebt ihre linke Hand und schaut lächelnd schräg an der Kamera vorbei

"Es bringt einen weiter, wenn man die Expertise aus anderen Bereichen in die eigene Arbeit hineinnimmt."

QuelleZitat Claudia Brück © Bild: BMBF/berlin-event-foto.de/Jürgen Schulzki

Welche Rolle spielt das Netzwerken in Ihrer Arbeit?

Das Prinzip von Fairtrade hat ja per se etwas mit Netzwerken zu tun: Es geht darum, Allianzen zu schmieden und Menschen zusammenbringen. Gemeinsam mit diversen Partnerinnen und Partnern setzen wir uns dafür ein, bestimmte Gruppen dabei zu unterstützen, dass sie von ihrer Arbeit leben können – und dabei auch das Thema Nachhaltigkeit einbeziehen. Ohne den Netzwerk-Gedanken ginge das gar nicht.

Wie setzen Sie Nachhaltigkeit in Ihrem privaten Alltag um?

Ich versuche generell sparsam mit Ressourcen umzugehen – was häufig gar nicht einfach ist. Letztens habe ich versucht, meine Waschmaschine reparieren zu lassen. Das war ein Trauerspiel! Das Geschäft, wo ich sie gekauft hatte, hatte keine Kapazitäten, um Geräte zu reparieren. Dann habe ich – für 200 Euro! – einen Installateur kommen lassen, der mir eröffnete, dass das Bauteil, das ich austauschen müsste, teurer sei als eine neue Maschine. Das hat mich schon sehr entmutigt. Zumal ich noch unter dem Eindruck eines Besuchs in Ghana im September stand: Da habe ich eine Müllkippe besucht, wo der ganze Elektroschrott aus Europa landet. In solchen Situationen wird mir immer wieder klar: Wir alle haben auch eine internationale Verantwortung, die nicht aus dem Blick geraten darf – und dass unser Lebensstil global gesehen ganz andere reale Kosten verursacht, als wir im ersten Moment sehen. Diese Erkenntnis ist manchmal schmerzhaft und nicht immer leichte Kost.

" Mit Schokolade den Regenwald retten"

Gibt es rückblickend eine Entscheidung in Ihrem Leben, die Sie bedauern?

Ich würde viel früher eine internationale Ausbildung anstreben und vor allem mehr und besser Fremdsprachen lernen. Ich bedauere heute sehr, dass ich mit der englischen Sprache nicht wirklich warm werde. In der Schule habe ich das damals eher wie Mathe betrachtet, also als theoretische Pflicht. Erst als 17-Jährige ist mir während eines Jugendaustausches in der Türkei aufgegangen: Oh, das ist ja ein Hilfsmittel, das ich nutzen kann, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Diese Erkenntnis ein paar Jahre früher wäre hilfreich gewesen!

Claudia Brück im schwarz-roten Oberteil und gleichfarbigem Schal lächelt in die Kamera

"Ich wünsche mir, dass fairer Handel 2050 zum freiwilligen Standard geworden ist."

 

QuelleZitat Claudia Brück © Bild: BMBF/berlin-event-foto.de/Jürgen Schulzki

Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kampagne zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)?

Die Kampagne kann den relevanten Akteuren im Nachhaltigkeitsbereich dabei helfen, ihre Netzwerke weiter auszubauen. Also diejenigen miteinander verbinden, die sich mit denselben Herausforderungen beschäftigen, aus ihrer jeweils individuellen Expertinnen- und Expertensicht heraus. Es bringt einen immer weiter, wenn man die Expertise aus anderen Bereichen in die eigene Arbeit einfließen lässt. Fairtrade, zum Beispiel, ist eine soziale Bewegung, die dank klarer Empfehlung unserer umweltpolitischen Mitgliedsorganisationen immer stärkere Kriterien zum Umwelt- und Klimaschutz aufnimmt. Andererseits können wir die deutsche Klimabewegung mit unseren internationalen Perspektiven bereichern. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit können und müssen wir verbinden. Hier kann die BMBF-Kampagne für wertvolle Impulse sorgen.

Drei Dinge für die Zukunft 

Mein Tipp für andere

In meiner Rolle als Fairtrade-Vorständin würde ich natürlich beim Einkaufsverhalten ansetzen: Im Supermarkt auf unser Siegel zu achten und vielleicht nicht mehr stapelweise die billige Schokolade für 39 Cent pro Tafel zu kaufen. Insgesamt lieber etwas weniger und dafür fair gehandelt einzukaufen – und damit auch noch dem Körper etwas Gutes zu tun.

Meine Vision für 2030 und 2050

Für 2030 wünsche ich mir, dass wir ein Lieferkettengesetz haben, das auch wirklich greift. Sodass wir dann keine Produkte im Handel haben, die unter unfairen Arbeitsbedingungen oder ökologisch bedenklichen Konditionen entstanden sind. Vielleicht ist 2030 hierfür etwas optimistisch und es wird doch erst 2050. Aber lieber wäre mir, wenn wir 2050 gar keine Gesetze mehr für so etwas brauchen, weil die faire und ökologisch verträgliche Produktion dann schon selbstverständlich also zum Standard geworden ist.

Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Für uns ist natürlich das SDG Nr. 8, menschenwürdige Arbeit, besonders wichtig. Dafür ist Fairtrade schließlich gegründet worden. Wir gehen allerdings noch über den Arbeitnehmendenkontext hinaus und meinen damit auch, dass selbstständige Bäuerinnen und Bauern mit ihrer Arbeit ihre Existenz sichern können. Unser Fokus liegt auf fairen Einkommen und Löhnen: Wenn Menschen gut von ihrer Arbeit leben können, haben sie die Chance, auch sozial und ökologisch zu handeln. Dies wirkt sich dann auch positiv auf die Erreichung aller anderen Nachhaltigkeitsziele aus – davon sind wir überzeugt. Dies kann nur in Partnerschaften erreicht werden, warum das SDG 17, Stärkung globaler Partnerschaften, ebenfalls maßgeblich für uns ist.

Über Claudia Brück