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"Nachhaltigkeit darf nicht in der Theorie verharren"

Christoph Schmitz | Dr. Christoph Schmitz, Social Entrepreneur, Ashoka-Fellow sowie Gründer und geschäftsführender Vorstand von Acker e. V., spricht im Interview über seine Kindheit auf dem Bauernhof und seine Leidenschaft für Landwirtschaft. Zudem erklärt er seine Motivation, bereits bei den Jüngsten das Thema Nachhaltigkeit zu etablieren.

Dr. Christoph Schmitz schaut lächeln in die Kamera, daneben sein Zitat: "BNE bedeutet für mich Erlebnisse statt nur Theorie, Selbermachen statt nur Zuhören und Hände in der Erde statt nur im Buch."
© CC-BY-SA www.jagaland.de

Was bedeutet Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) für Sie?

BNE bedeutet für mich Erlebnisse statt nur Theorie, Selbermachen statt nur Zuhören und Hände in der Erde statt nur im Buch. Ich bin sehr davon überzeugt, dass Kinder, aber auch Erwachsene, viel besser lernen, wenn sie Themen möglichst lebensnah erleben. Auf Natur und Nachhaltigkeit bezogen bedeutet dies, rauszugehen in die Natur und die natürlichen Prozesse mit den eigenen Sinnen zu begreifen. Ähnlich wie man Sport nicht im Buch lernt, so ist es auch mit Nachhaltigkeit. Sie darf nicht in der Theorie verharren. Das ist für mich BNE!

Artenvielfalt und Nachhaltige Entwicklung – Engagement Global gGmbH, 2022

Gibt es jemanden, der Sie zu Ihrem Engagement für BNE inspiriert hat?

Ich bin auf dem Bauernhof groß geworden und habe viel Zeit mit meinem Großvater in unserem großen Bauerngarten verbracht. Er hat mir von Anfang an beigebracht, wie wichtig der Boden und die Lebewesen für unser Überleben sind. Landwirtschaft und Nachhaltigkeit haben für mich immer eine große Rolle gespielt und so habe ich Agrar- und Wirtschaftswissenschaften studiert und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung promoviert. Mit der Geburt meiner Tochter im Jahr 2012 hat mich vor allem die Frage beschäftigt, wie sie und die vielen anderen Kinder aufwachsen, die keinen Bezug zu Landwirtschaft in ihrem Alltag haben. So entstand die Idee der GemüseAckerdemie. Daher haben mich mein Großvater und meine Tochter wohl am meisten inspiriert.

Die Preistragenden der Kategorie Lernorte des "Nationalen Preis – Bildung für Nachhaltige Entwicklung" 2023

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Ich bin sehr davon überzeugt, dass Kinder, aber auch Erwachsene, viel besser lernen, wenn sie Themen möglichst lebensnah erleben."

QuelleZitat Dr. Christoph Schmitz © Bild: BMBF

Über Dr. Christoph Schmitz:

Dr. Christoph Schmitz ist Unternehmer und Wissenschaftler mit Leidenschaft. Selbst auf einem Bauernhof groß geworden, beschäftigen ihn seit der Geburt seiner Tochter im Jahr 2012 viele Fragen: Wie können Kinder heutzutage verstehen, wie Landwirtschaft funktioniert? Kann Natur und ein Acker fester Bestandteil des Bildungssystems werden? Die Idee der GemüseAckerdemie war geboren. Heute leitet er das von ihm gegründete gemeinnützige Sozialunternehmen Acker e. V. und setzt sich mit einem Team von 180 Mitarbeitenden für mehr Wertschätzung von Natur und Lebensmitteln ein. Die vielfach ausgezeichneten Bildungsprogramme GemüseAckerdemie und AckerRacker werden mittlerweile an mehr als 1.500 Schulen und Kitas in Deutschland, Österreich und der Schweiz umgesetzt. Die große Vision ist es, dass bis 2030 jedes Kind die Möglichkeit hat zu lernen, wie Lebensmittel entstehen und Natur funktioniert. Auf seinen Vorträgen spricht Dr. Christoph Schmitz darüber, wie er das Bildungssystem in Deutschland revolutioniert und sich ein Systemwandel erreichen lässt. 

Heute sind Sie selbst durch Ihr Engagement eine Vorbildfigur. Wie fühlt sich das an?

Ja, man fühlt eine besondere Verantwortung. Ich selbst habe viel von anderen Sozialunternehmerinnen und -unternehmern profitiert, die für mich eine Vorbildfunktion hatten. Jetzt versuche ich umgekehrt, das Wissen und die Erfahrung an andere weiterzugeben und vor allem durch das eigene Handeln zu überzeugen.

Ist Netzwerken für nachhaltige Arbeit wichtig und wie gelingt es Ihrer Meinung nach?

Netzwerke sind ein entscheidender Erfolgsfaktor, gerade für Sozialunternehmen, die die Gesellschaft verändern wollen. Das funktioniert nur, indem man mit möglichst vielen Akteurinnen und Akteuren in Kontakt ist und Synergien auslotet. Gesellschaftliche Veränderungen funktionieren vor allem dann gut, wenn Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen.

Monitoring: Neue Ergebnisse zur Verankerung von Nachhaltigkeit und BNE in der schulischen Bildung

Was sind Ihre nächsten Projekte oder worauf legen Sie in nächster Zeit Ihren Fokus?

Unsere große Mission als Sozialunternehmen ist es, dem Problem der Entfremdung von Lebensmitteln und Natur entgegenzuwirken. Dafür sehen wir es als essenziell an, dass jedes Kind mindestens einmal im Leben den gesamten Zyklus vom Säen bis zum Ernten miterlebt. Es kann nicht sein, dass im 21. Jahrhundert Nachhaltigkeit und die Wertschätzung von Natur und Lebensmitteln keinen festen Platz in der Bildung haben oder maximal mit Büchern gelehrt werden. Wir wollen das Problem an der Wurzel packen – mit systemischen Strategien für nachhaltigen Wandel zusammen mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Kommunen. Bis 2030 wollen wir dafür sorgen, dass Eltern sicher sein können, dass ihre Kinder – wie sie auch Sport oder Musik nicht allein durch Bücher lernen – Nachhaltigkeit und Naturbewusstsein ganz angewandt "mit den Händen in der Erde" erfahren und erleben. 

Dr. Christoph Schmitz hät einen Votrag, im Hintergrund sind eine rostfarbene Backsteinwand und ein Bildschirm zu sehen.

"Gesellschaftliche Veränderungen funktionieren vor allem dann gut, wenn Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen."

QuelleZitat Dr. Christoph Schmitz © Bild: Laurent Hoffmann

Wie setzen Sie in Ihrem Alltag Nachhaltigkeit um?

Ich freue mich jedes Mal, wenn ich selbst auf dem Acker stehe. Sei es zu Hause bei mir am Hof oder eben bei einem Besuch einer unserer Kitas oder Schulen. Da lässt sich Nachhaltigkeit am besten leben. Ansonsten versuche ich mit meiner Familie unseren CO2-Abdruck so niedrig wie möglich zu halten. Dazu gehört neben der Ernährung vor allem eine CO2-arme Mobilität und der nachhaltige Konsum. Das Schöne ist, dass meine Kinder vieles gar nicht als Verzicht einschätzen, sondern als normal. Das gibt mir sehr viel Motivation bei den Jüngsten anzusetzen und auch Hoffnung, dass die neue Generation Nachhaltigkeit noch einmal auf ein ganz neues Level hebt. 

Zwei Kinder schauen sich gemeinsam mit einer Frau die Pflanzen auf einem Feld an.
© Nadine Stenzel

Was ist Ihrer Meinung nach die Stärke oder das Potenzial der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten BNE-Kampagne?

Um die Sustainable Development Goals (Anm. d. Red.: SDGs; 17 globale Nachhaltigkeitsziele wurden 2015 von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 definiert) zu erreichen, müssen wir die Probleme an der Wurzel packen. Systemische Strategien für nachhaltigen Wandel, wie die von "Acker", können nur zusammen mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Kommunen nachhaltig erfolgreich sein. Die Kampagne ist daher ein sehr wichtiger Schritt, um eine breitere Aufmerksamkeit für BNE unter diesen Akteurinnen und Akteuren zu schaffen.

Petrolfarbener Handabdruck auf gelbem Hintergrund.

"Um die Sustainable Development Goals zu erreichen, müssen wir die Probleme an der Wurzel packen."

 

QuelleZitat Dr. Christoph Schmitz © Bild: BMBF

Drei Dinge für die Zukunft:

Mein Tipp für andere

Selbst Ackern! Bei "Acker" stehen wir sehr stark dafür ein, Natur-Erfahrungsräume wieder neu zu erschaffen. Das ist die eigentliche Wurzel des Problems. Die sichtbaren Themen an der Oberfläche sind fehlende Nachhaltigkeit, ungesunde Ernährung und Nahrungsmittelverschwendung, wozu es auch viel Aufklärungsarbeit und Appelle gibt. Aber man kann Natur nicht durch eine Kampagne lernen. Wer nicht selbst erfahren hat, dass eine Möhre erst in fünf Monaten und nicht in zwei Tagen wächst, wird sie schnell wegwerfen, wenn sie krumm ist. Kontakt zur Natur und Wertschätzung von Gemüse machen einen großen Unterschied.

Meine Vision für 2030 und 2050

Bis 2030 möchte ich systemischen Wandel so erreicht haben, das jedes Kind im Rahmen seiner Bildung den natürlichen Wertschöpfungsprozess von Lebensmitteln und Selbstwirksamkeit beim Gemüseanbau auf dem eigenen Acker erfahren kann und so wichtige Kompetenzen zur nachhaltigen Zukunftsgestaltung entwickeln wird.

Bis 2050 sollen wir uns im besten Fall nicht mehr um Nachhaltigkeit Gedanken machen müssen, da sie tief in der Gesellschaft und im Bewusstsein der Menschen verankert ist.

Mein dringlichstes Nachhaltigkeitsziel

Alle 17 SDGs sind natürlich gleich dringend und wir werden nur gemeinsam nachhaltig die Ziele der Vereinten Nationen erreichen können. Mit unserem Ansatz kann ich am besten bei der Umsetzung von den folgenden Zielen unterstützen: 2 – Kein Hunger, 3 – Gesundheit und Wohlergehen, 4 – Hochwertige Bildung, 11 – Nachhaltige Städte und Gemeinden 12 – Nachhaltige/r Konsum und Produktion, 13 – Maßnahmen zum Klimaschutz, und 15 – Leben an Land.

Konkret glaube ich, wir schützen, was wir kennen und mögen. Was aber, wenn wir keine Verbindung zur Natur mehr haben? Wir schaffen einzigartige Erlebnisse rund um den Acker. Das prägt. Wir machen erfahrbar, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf die Natur hat. So tragen wir dazu bei, dass möglichst viele Menschen nachhaltige Konsumentscheidungen treffen.

Über Dr. Christoph Schmitz